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FAIRPLAY I

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Schleppdampfer FAIRPLAY I bei der Arbeit

Der Schleppdampfer FAIRPLAY I war beteiligt an einem der tragischsten Schiffsunglücke der neueren Zeit vor Cuxhaven. [1]

"Am 6. September 1954 hielten die Menschen an der Küste den Atem an. "Das Drama der FAIRPLAY: Funker gibt Klopfzeichen. Kapitänssohn vermisst" ratterte es aus den Fernschreibern der Redaktio­nen. Tatsächlich war das, was sich an jenem Tag auf der Elbe vor Cuxhaven abspielte, an Dramatik nicht zu überbieten. Es gehört sicherlich zu den bewegendsten Ereignissen in der Geschichte der FAIRPLAY-Reederei. Was war passiert? Tausende von Schaulustigen bevölkerten das Steubenhöft in Cuxhaven, um das Anlegemanöver des 22.000 Brutto­registertonnen großen Ozeanliners `ITALIA´ zu beob­achten, der von einer Reise nach New York zurückerwartet wurde. Eigentlich gestattete das Steubenhöft auch großen Schiffen das Anlegen ohne Schlepperassistenz, doch Kapitän Pabst, der die ITALIA nur vertretungsweise führte und dem das Anlegen in Cuxhaven nicht so geläufig war, forderte lieber einen Schlepper an. Als der Passagierdamp­fer gegen 14.30 Uhr einlaufend die Kugelbake pas­sierte, dampfte ihm `FAIRPLAY I´, die in Cuxhaven stationiert war, entgegen. An Bord des Schleppers befanden sich neben der Besatzung noch zwei Ehe­frauen von Besatzungsmitgliedern sowie der fünf­jährige Sohn des Kapitäns und ein elfjähriges Mäd­chen als Gäste an Bord. Es war ein schöner Tag, und die Fahrt sollte nur wenige hundert Meter in die Elbe hinausführen. In weniger als einer halben Stunde würde man zurück sein. Doch es sollte ganz anders kommen.

FAIRPLAY I kam nach einem Wendemanöver an der Steuerbordseite [2] der ITALIA von achtern auf und manövrierte ganz dicht an das große Schiff heran, um die Trosse zu übernehmen. Dies ist bei kon­ventionell angetriebenen Schleppern bei jedem `Job´ der kritischste Moment. Der Schlepper muss dicht an das Seeschiff herangehen und dabei eine gewisse Geschwindigkeit beibehalten, um steue­rungsfähig zu bleiben und dem geschleppten Schiff gegenüber eine Geschwindigkeitsreserve zu behal­ten. Dabei trifft die Bugwelle des Schleppers auf die des geschleppten Schiffes, prallt gegen dessen Bug [3] und kommt mit Wucht zurück. Schiebt sich der Schlepper über den Bug des Schiffes hinaus, entsteht an seinem Heck eine einseitige Hebelwir­kung, während sich sein Bug bereits in ruhigerem Wasser befindet. Dadurch wird das Schlepperheck [4] vom Bug des Seeschiffes weggedrängt, so dass der Schlepper in Gefahr gerät, vor den Bug des langsam mitlaufenden Schiffes zu drehen. Zumeist genügt eine leichte Korrektur, um den Schlepper wieder auf Kurs zu bringen, doch es bleibt ein schwieriges Manöver, weil auch Strom und Wind eine Rolle spie­len. Kapitän Reese sollte es nicht gelingen.

Beide Fahrzeuge fuhren Steven [5] an Steven neben­einander her. FAIRPLAY I hatte gerade eine lose Lei­nenverbindung hergestellt, als der Schlepper in den Sog des Bugschwells der ITALIA geriet. Ruhig ließ Kapitän Reese das Ruder nach Steuerbord legen und Fahrt aufnehmen. Doch sein Schlepper kam nicht von dem mächtigen Schiffsrumpf frei. Die Hebelwirkung der Bugwelle, die noch durch den von achtern kommenden Flutstrom verstärkt wurde, war zu stark. Der Bug des Schleppers wurde immer mehr von dem Passagierdampfer weggedrückt, wäh­rend sein Heck dessen Steuerbordsteven immer näher kam und schließlich dagegen schlug. Reese ging jetzt auf höchste Fahrtstufe. Und tatsächlich kam der Bug des Schleppers durch die Vorwärts­bewegung aus dem Bugschwell heraus, dafür geriet sein Heck hinein. Der Schlepper wurde nach Back­bord herumgerissen, krängte [6] nach

FAIRPLAY I vor dem Bug der ITALIA

Steuerbord, richtete sich wieder auf, geriet direkt vor die ITALIA und war in Gefahr, überlaufen zu werden. Dort wurden die Maschinen sofort auf `Voll zurück´ gestellt, so dass die Fahrt des Dampfers herunterging und eine Kollision gerade noch vermieden werden konnte. Die Wasserwulst, die das Passagierschiff vor sich herschob, konnte dem Schlepper jetzt zum Retter oder zum Verhängnis werden. Tatsächlich schien alles gut zu gehen. Die Bugwelle schob den Schlep­per, der wieder erhebliche Schlagseite [7] nach Steuerbord bekommen hatte, nach Backbord [8] weg, so dass der Steven der ITALIA haarscharf an ihm vor­überglitt. FAIRPLAY I schrammte an der Backbord­wand des Dampfers entlang und kam schließlich von ihm frei. Den Passagieren und Besatzungsmitgliedern an Bord des Passagierschiffes stockte der Atem. Sie warteten darauf, dass sich der Schlepper, der offensichtlich unbeschädigt war, wieder auf­richtete. Doch er blieb minutenlang auf der Steuerbordseite liegen. Durch einen geöffneten Nieder­gang und die Oberlichter des Maschinenraums und des Logis drang Wasser in das Innere, das ein Auf­richten unmöglich machte. Der Schlepper rollte dann weiter über, kenterte und trieb, kieloben liegend, im Heckwasser der ITALIA davon. Schließlich sackte FAIRPLAY I mit dem Achterschiff [9] ab, während der Bug, durch eingeschlossene Luft gehalten, noch an der Wasseroberfläche blieb.

Es waren nur Sekunden, in denen sich das Un­glück ereignet hatte. Sein Nachspiel dagegen dauerte Stunden des Entsetzens. Alle, die sich an Deck des Schleppers befunden hatten, sprangen ins Wasser oder retteten sich auf das Wrack. Von der ITALIA wur­den sofort Rettungsringe ins Wasser geworfen. We­nige Minuten nach dem Untergang waren die Schlepper und Taucherfahrzeuge `Danzig´, `Otto Wulff II´ und `Otto Wulff III´, `JASON´ und `Vorwärts´ sowie der Zollkreuzer `Kehdingen´ und das Fahrgast­schiff `Jan Molsen´ zur Stelle, um die Schiffbrüchigen aufzunehmen. Zwei Mann fehlten. Der kleine Sohn des Kapitäns, der sich in einer Koje [10] zum Schlafen gelegt hatte, und der Funker Ernst Reich, der Frei­wache hatte, mussten noch im Schiff sein. Kapitän Reese, der drei Wochen zuvor bereits seinen ande­ren Sohn durch eine Lungenentzündung verloren hatte, weigerte sich zunächst, das Wrack seines Schiffes zu verlassen, solange die Vermissten nicht geborgen waren. Zum Glück blieb das Wrack vor­läufig so liegen. Heck und achterer Mast hatten sich in den Grund gebohrt und stützten es ab, während eine Luftblase den Bug oben hielt. Die Fahrzeuge kehrten mit den Geretteten nach Cuxhaven zurück, wohin auch die ITALIA lief. Den Menschen an Bord stand das Entsetzen im Gesicht. Nur der Schlepper Danzig und Otto Wulff II blieben draußen.

Während Danzig versuchte, das Wrack aus der Fahrrinne zu ziehen, vernahmen die Männer plötz­lich Klopfzeichen aus dem gekenterten Schiffskör­per. Die Bergungsarbeiten wurden sofort unterbro­chen, um ein Auseinanderbrechen des Schleppers zu verhindern, und ein Boot mit Ärzten zur Un­fallstelle geschickt. Der Funker der Danzig stieg auf das Wrack über und antwortete. Der Eingeschlos­sene war unverletzt. Er war bei dem Unglück in hohem Bogen aus der Koje geflogen und hatte sich tastend in den Raum mit der Luftblase gerettet. Hier wartete er nun bei völliger Dunkelheit auf Rettung. Versuche, den aus dem Wasser ragenden Bug auf­zuschneiden, wurden schnell wieder aufgegeben. Die Gefahr war zu groß, dass die Luft durch das Loch entweichen und das Wrack wegsacken würde, bevor der Mann geborgen werden konnte. Gleich zu Beginn der Bergung hatte man das Hebeschiff `Ausdauer´ der Bugsier-Reederei nach Cuxhaven ge­rufen. Es sollte den gekenterten Schlepper empor­heben, würde aber zehn Stunden für die Strecke von Hamburg bis zur Elbmündung benötigen - zu lange, um dem Eingeschlossenen noch helfen zu können. Ein Tauchretter musste her, wie er auf U-Booten benutzt wird. Von der Danzig aus wurden deutsche, britische und sogar amerikanische Marinestellen angerufen, aber keiner konnte schnell genug einen besorgen.

Gegen 18.00 Uhr versuchte ein Taucher von Otto Wulff II bei Stauwasser [11] unter Lebensgefahr, in den Schlepper hineinzukommen. Bei diesem Bergungsversuch in etwa 20 Meter Tiefe geriet das Wrack ins Trudeln, und es gelang im letzten Au­genblick, den Taucher wieder an die Oberfläche zu holen. Die beiderseits des Wracks liegenden Bergungsfahrzeuge schoren [12] Leinen unter ihm durch, um es zu halten, wenn es durch den Ebbstrom her­umgerissen werden sollte. Die Helfer waren ver­zweifelt. Mit Morsezeichen sprachen sie dem ein­geschlossenen Funker Mut zu und wussten doch nicht, was sie für ihn tun sollten. Spätestens wenn die Ebbe einsetzte, würde das Wrack in Bewegung geraten und vollständig versinken. Um 21.00 Uhr begann der letzte Akt des Dramas. Mit ablaufen­dem Wasser bewegte sich der Schlepper. Als die Be­wegung zu stark wurde, mussten die Halteleinen gekappt werden, um die Bergungsschiffe nicht zu gefährden. Mit einer großen Fontäne entwich die Luft aus dem Schiff, das endgültig versank. Der ein­geschlossene Funker hatte bis fast zuletzt Morsezeichen gegeben.

Der Schlepper wird gehoben

Noch in der Nacht ging das Hebeschiff `Ausdauer´ daran, das Wrack zu bergen, doch die starke Strö­mung bereitete den Tauchern große Schwierigkei­ten. Sie konnten nur bei Stauwasser für kurze Zeit arbeiten, so dass es volle vier Tage dauerte, bis das Wrack gehoben war. Wieder säumten Tausende den Elbdeich und den Steubenhöft. Doch diesmal keine freudige Erwartung, kein Lachen. Stumm beobach­teten sie, wie das Wrack der FAIRPLAY I langsam wie­der an die Oberfläche kam und im flachen Wasser des Amerikahafens von Cuxhaven auf Grund gelegt wurde. Hier fand man auch den Funker. Er saß mit friedlichem Gesicht in einer Ecke der Vorlast. Durch den Sauerstoffmangel war er kurz vor dem Ver­sinken des Wracks müde geworden und für immer eingeschlafen. Den toten Werner Reese fand man in der Koje des Ruderhauses, wo ihn der Vater zum Schlafen niedergelegt hatte. Dort hatte ihn ein schneller Tod überrascht. Der Schlepper selbst war bei dem Unglück kaum beschädigt worden und konnte wieder instandgesetzt werden. An der Küste herrschte Trauer. Einen Schuldigen für diese Tragödie gab es nicht. Das Seeamt konnte niemandem ein Fehlverhalten vorwerfen. Wieder einmal war es die Bugwelle eines geschleppten Schiffes gewesen, die - in diesem Fall durch den Flutstrom verstärkt - einen Schlepper ins Verderben gerissen hatte."


Fußnoten

  1. Der Text wurde hier wörtlich aus der Quelle (s.u.) übernommen, da nach Ansicht des Einstellers jede Änderung einen Verlust darstellen würde.
  2. rechtsseitig
  3. Schiffsvorderseite
  4. Schiffsrückseite
  5. Bugspitze
  6. kippte
  7. Seitenlage
  8. links
  9. Hinterschiff
  10. Bett im Schiff
  11. Wasserstillstand während der Phase zwischen Flut und Ebbe, bzw. Ebbe und Flut
  12. zogen

Video von der Bergung der Fairplay

Quelle

Wörtlicher Text und Bilder mit freundlicher Genehmigung der FAIRPLAY-Reederei aus:

  • `Seeschiffsassistenz und Schleppschifffahrt im Wandel der Zeit, Fairplay Schleppdampfschiffs-Reederei Richard Borchard´
Verlegt im Elbe-Spree Verlag Hamburg